6. Die Party

Es ist so weit. Heute abend findet die Willkommens-Party der Linken auf der anderen Straßenseite statt. Sorgfältig zupft Herr Mobs noch einmal seine Krawatte zurecht. Seine Frau betrachtet sich währenddessen im Spiegel, ob sie in ihrem neuen Sommerkleid tatsächlich jung und schmissig aussieht, wie die C&A-Verkäuferin behauptet hat, oder doch eher wie eine alte Schachtel. Mobs lässt ihr keine Zeit, diese Frage zu beantworten. Er hat bereits die Tür geöffnet und macht eine unmissverständliche Geste: Er wäre dann so weit. Herr, steh uns bei, seufzt Frau Mobs, als sie die Haustür zweimal abschließt. Schon jetzt hören sie die ohrenbetäubende Musik, die die jungen Leute aufgelegt haben. Ist das überhaupt Musik? fragt Uschi Mobs ängstlich ihren Mann. Durch die sonst so ruhige Straße kreischen und fiepsen seltsame Töne, dazu wummern Bass und Schlagzeug hypnotische Rhythmen. Herr Mobs wirft einen besorgten Blick zu seiner Frau. Er hat mal gelesen, dass Rock-Rhythmen zu sexueller Enthemmung führen. Sollte er sie lieber zu Hause lassen? Wird sie den  moralischen Herausforderungen gewachsen sein, denen sie jetzt auf der anderen Straßenseite begegnen werden? Macht er sich als Familienoberhaupt schuldig, wenn er sie diesen Versuchungen aussetzt? Doch anstatt libidöse Regungen zu zeigen, klagt Uschi über Kopfschmerzen. Dieser Krach ist nichts für mich, sagt sie, als jetzt auch noch eine männliche Stimme unverständliche Satzfetzen auf Englisch über die Musik hinwegbrüllt. Sicher nichts Freundliches, denkt Herr Mobs bekümmert. Sie haben das andere Haus erreicht und bleiben zögernd auf dem Bürgersteig davor stehen. Im Garten, unter der im Wind flatternden palästinensischen Fahne, versammelt sich ein bunter Haufen von Menschen. Mobs sieht junge Männer und Frauen in schwarzen T-Shirts, engen schwarzen Jeans und schwarzgefärbten Haaren. Andere haben rotgefärbte Haare und tragen sie in langen Haarwürsten, wie die junge Frau mit dem schönen Dekolleté. Manche der Anwesenden kleiden sich bewusst bunt, andere betont unauffällig. Einer der Gäste erinnert Mobs an seinen alten Englischlehrer: Schlabberjeans, Lederweste, lange graue Haare und Bart. Erstaunt stellt Mobs fest, dass auch die freundliche junge Frau, die bei der Tankstelle an der Kasse arbeitet, unter den Gästen ist. So so, denkt Mobs, du kämpfst also auch für die andere Seite. Da reißt ihn ein unterdrückter Schreckensschrei seiner Frau aus den Gedanken. Mit zitternder Hand deutet Uschi auf zwei Männer mittleren Alters, die sich leidenschaftlich küssen. Schön, dass sie gekommen sind, sagt in diesem Moment eine weibliche Stimme direkt hinter ihnen. Es ist die junge Frau mit dem schönen Dekolleté. Ich hoffe, sie fühlen sich wohl bei uns. Äh ja, anwortet Herr Mobs mit belegter Stimme und muss sich erstmal räuspern. Doch, doch. Doch, doch.

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